Zu meinen Studentenzeiten, als ich noch auf das Taxifahren angewiesen war, um meinen kargen Lebensunterhalt bestreiten zu können, wurde ich durch die immer gleichen Phrasen einfallsloser Fahrgäste gelangweilt: "Wie kalt es heuer für diese Jahreszeit doch ist" (ja, das ist kein Phänomen der heutigen Zeit), "Sind Sie Student?" und "Wer gewinnt wohl die Meisterschaft dieses Jahr". Sicher, so mancher verzehrt sich danach, diese Themen eingehend zu diskutieren, wenn nur irgend jemand einmal dessen Meinung interessieren würde.
Aber dauernd und ständig?

Da mußte verbale Gegenwehr her.

Also begann ich, Fahrgäste, die nach dumpfen Smalltalk aussahen, folgende Frage zu stellen: "Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Mord und Totschlag?" Begriffe also, die in aller Munde sind und die allenthalben auch in Presse, Funk und Fernsehen andauernd thematisiert werden. Die ganz überwiegende Mehrheit (ohne Anspruch auf Exaktheit geschätzte 90%) der Befragten unterschieden danach, daß Mord wohl geplant sei und vorsätzlich, während Totschlag gewissermaßen aus Versehen geschehe, also fahrlässig.
Der Kenner weiß: Das ist ebenso einleuchtend wie falsch.

Denn wenn jemand jemanden vorsätzlich tötet, ist es mindestens Totschlag. Wenn eine besondere "Qualifikation" (so heißt das im Juristenjargon) dazukommt, etwa Habgier, Heimtücke, Grausamkeit oder zur Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat (näheres siehe unter § 211 StGB), dann ist es Mord.

Was bedeutet das? An und für sich scheint das nicht von Belang zu sein, dann verwendet der Laie nun mal falsche Begriffe. Allerdings kommen so einige Mißverständnisse zustande. Denn wenn ein Gericht mangels nachweisbarer Qualifikationen den vorsätzlich handelnden Gewaltverbrecher, der jemanden tötet, nur wegen Totschlags verurteilt, kocht gerne die Volksseele hoch. 
Das sei doch kein Versehen, wie kann ein Gericht so blind sein, das ist doch kalter Mord.

Wir dürfen nicht vergessen: Bei Kapitaldelikten haben wir es mit etwa 60 Millionen Fachexperten zu tun (ähnlich hoch ist nur die Frage der Bundestrainer in diesem unserem Lande). In keiner anderen Disziplin als der Rechtswissenschaft glauben auch nur annähernd so viele Menschen fachlich mitsprechen zu können. Kein Mensch würde einem Ingenieur in die Berechnung einer Statik beim Bau eines Gebäudes kritisieren (außer vielleicht im Bezug auf die Ästhetik, aber das ist keine technische Frage) oder einen sogenannten "Wirtschaftsexperten" im Hinblick auf eine Zukunftsprognose der Wirtschaft (trotz Wirtschaftskrise, was zeigt, daß eine ganze Reihe von Experten sich grundlegend geirrt haben, jetzt aber dennoch weiter als Experten etwa in den Medien herangezogen werden).

Nur der Jurist muß sein Ergebnis gegen Laien verteidigen. Meist erfolglos.

Zwar mag man sagen, daß auch Juristen untereinander nie einer Meinung sind, weil die Jurisprudenz keine Natur-, sondern eine Geisteswissenschaft ist. Allerdings sind auch die Naturwissenschaftler selten einer Meinung: Wer jemals mehr als einen Diplom-Ingenieur als technischen Experten etwa für Unfallursachen in einem Verfahren als Gutachter hatte, der weiß, daß Gutachter ebenfalls kaum jemals zum selben Ergebnis kommen.
Aber Naturwissenschaftler dürfen selbstverständlich nicht hinterfragt werden.

Ganz anders der Jurist, der sich doch alles nur aus den Fingern saugt.

Der nur die Worte verdreht, obwohl jeder andere aufgrund gesunden Menschenverstandes die Lösung weiß (merkwürdigerweise ist das aber auch keine einheitliche Lösung). Weil jeder sich für den Maßstab hält und selten Faktoren, die einem nicht passen oder für einen selbst günstig sind, zur Kenntnis nimmt. Die Rechtskultur in unserem Lande, gefördert durch das Unwesen der Rechtsschutzversicherung, leidet stark unter der Egozentrik des eigenen Weltbildes.
Das war zumindest eine der Erkenntnisse meiner Befragungen.

Aber ich irre mich vermutlich, weil jeder, der dies liest, dazu eine abweichende Meinung hat.
Und eine allein zutreffende. 
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