Daß das Genie das Chaos beherrscht, Ordnung also möglicherweise für die Normalsterblichen, die Unordnung aber für die Unsterblichen sei, spukt in vielen Köpfen herum, mögen sie nun sterblich oder vermeintlich nicht sterblich sein. Allein, die wenigsten, die sich dafür halten, sind tatsächlich Genies.
Meist handelt es sich nur um Zeitgenossen, die ihr Chaos vor sich selbst und anderen rechtfertigen.  

Schließen sich Genie und Ordnung etwa aus?

In Wahrheit ist die wirklich tiefschürfende Beschäftigung mit einer Disziplin in aller Regel kompliziert und erfordert ein gewisses Maß an Organisation. Wer sein Werkzeug nicht ordnet, wird kaum bei noch so viel Talent großartige Plastiken zustande bringen, weil er die meiste Zeit damit beschäftigt ist, etwas zu suchen und weniger Zeit für die eigentliche Aufgabe hat. Auch eine gewisse Reihenfolge einzuhalten, kann zielführend sein. So sollte man alle Ingredigenzien in einen Kuchen rühren, noch bevor man diesen in den Ofen schiebt. Und wer zum Fotographieren eine bestimmte Lichtsituation wünscht, sollte sich zu dem Zeitpunkt, zu dem die Sonne günstig steht, alle sonstigen Aufgaben vom Hals halten, gegebenenfalls dadurch, daß er sie schon alle erledigt hat.
Organisation erleichtert das Leben ungemein.

Kreativität im Chaos zu suchen, ist überschätzt.

Sich bestimmte Arbeitsabläufe zurechtzulegen, vereinfacht die Arbeit. Sich gewisse Routinen in seinem Tun anzueignen, macht den Kopf frei für das Wesentliche.
Freilich darf sich die Arbeit nicht in der Ordnung als Selbstzweck erschöpfen. Denn die Ordnung soll ja dem Zweck dienen, sich die Sache zu vereinfachen. Und die Sache soll nicht umgekehrt nur Vorwand sein, Ordnung zu halten, bis es außer Ordnung keine Sache mehr gibt.

Ordnung mag das halbe Leben sein, mit einem halben Leben ist aber herzlich wenig anzufangen.

Ein wenig Unordnung mag da schon gut tun, daß sich das Auge nicht in peinlicher Sterilität verliert und der Geist auch Gelegenheit hat, sich ein wenig in ungeebneten Bahnen zu bewegen, ein wenig einzuhaken am Lebendigen und nicht in kaltem, totem Organisationswahn zu vertrocknen. 

Wer es aber schafft, sich seine knappe Zeit durch geregelte Abläufe immer wiederkehrender Verfahrensabläufe zu sparen, dem wird die Aufgabe auch leichter von der Hand gehen.  Das Schreiben geht leichter von der Hand, wenn im Bedarfsfall ein Spitzer oder Reservepapier oder meinetwegen auch ein Ersatzakku oder das vermaledeite Netzteil zur Hand sind. Während man sonst lange nach diesen Dingen sucht, ist so mancher Gedanke wieder in den Untiefen der Synapsengewitter verloren gegangen. Und stundenlang nach dem richtigen Pinsel und der Farbe den Verhau zu durchwühlen, ist einer Künstlerkarriere in aller Regel auch nicht allzu dienlich.
Genies mögen das Chaos beherrschen, aber meist ist es das Chaos, das herrscht (Genau deswegen drückt man es gemeinhin gerade deshalb so aus.).

Und wer die Kunst der Organisation nicht beherrscht, der wird es auch in der Kunst des Lebens nicht unbedingt weit bringen.
Denn hängt dir die Unordnung ständig wie ein Klotz am Bein, bist du nun mal wenig beweglich.

Denn die Freiheit gehört nicht den Gefangenen. Sondern denen, die auch den Rücken frei haben.
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