Früher war er eines der - zahlreichen - Feindbilder jedes anerkannten Linken: Der Denunziant. Darunter verstand man denjenigen Zeitgenossen, der öffentlich durch Anzeige bei den Behörden jemand beschuldigt, ohne letztlich selbst beteiligt zu sein. Das konnte der Senior sein, der jeden Parkverstoß seiner Nachbarn peinlich genau protokollierte oder auch der Spießer, der selbst soff, aber Marihuana-Gebrauch sofort zur Anzeige brachte. Historisch hat sich das negative Bild vom Denunzianten wohl aus dem Anzeigeverhalten im III. Reich entwickelt, als Anzeigen nicht nur zu kleinen Bußgeldern, sondern zu akuter Gefahr für Leib und Leben führen konnte.

Die Devise war immer: Man zeigt keinen an, schon gar nicht bei der Polizei.

Diese Meinung scheint sich gewandelt zu haben. Mag es an einem veränderten Bild liegen, das die Allgemeinheit von den Behörden hat (wobei man da im linken Lager nach wie vor eher zurückhaltend ist), eine Anzeige ist nunmehr nicht mehr per se moralisch verwerflich in den Augen gerade "linker" Kräfte. Man nennt den Denunzianten nunmehr "Whistleblower". Wenn der Staat ausspäht oder die Reichen Steuern hinterziehen - all das muß ans Licht der Öffentlichkeit, so das allgemeine Credo. Der die Geheimnisse offen Legende soll auch nur aus Gründen des Gewissens aus dem Nähkästchen geplaudert haben. Wobei auch der Senior mit seinen Parkverstößen meint, einem öffentlichen Bedürfnis Folge zu tragen. Selbst der Blockwart im III. Reich meinte wohl, daß er der Allgemeinheit einen Gefallen täte. Keiner dieser Denunzianten sieht sich selbst als den Bösen an. INDEM ich anzeige, tue ich etwas Gutes.

Wo also verläuft die Grenzlinie? Ob man selbst aus der Anzeige einen Nutzen zieht? Der Kämpfer gegen die Parksünder hat selbst auch nichts davon, wenn sein Nachbar Geld an den Staat zahlt. Und was hilft es dem Säufer, wenn der Kiffer im Gefängnis landet?

Es geht auch nicht nur um Verstöße des Staates selbst, wie sich etwa aus den immer wieder in die Hände der Finanzbehörden gelangende Daten-DVRs ergibt. Dort werden Privatpersonen angezeigt, die Steuern hinterziehen.

Ein klares Abgrenzungskriterium will sich mir nicht erschließen. Wer eines herausarbeiten kann, soll sich doch bitte bei mir melden. Ich bewundere auch den Mut von Herrn Snowden. Aber: Könnte es sein, daß man nur denjenigen als verehrungswürdigen Whistleblower empfindet, dessen Informationen gegen jemanden geht, der einem selbst als Feindbild taugt?

Zurück zu Home