Im Alltag nicht wegschauen, ist ein Akt der Selbstüberwindung. Sich in Zeiten gegen Gewalt zu wenden, in denen in voll besetzten Zügen Frauen vergewaltigt werden, ohne, daß jemand eingreift, in denen Menschen buchstäblich Jahre tot in ihrer Wohnung liegen und keinem auffällt, daß die Weihnachtsbeleuchtung nicht irgendwann überholt sein könnte, in denen inmitten großer Menschenmengen immer wieder Leute verprügelt werden, ohne, daß auch nur irgendjemand eingreift , ist leider nicht üblich.
Ich habe nichts gesehen, denn das bedeutet nur Ärger.

Dafür gibt es angeblich sogar eine psychologische Erklärung.

Daß man nicht vor Scham in den Boden versinkt, wenn man bewußt wegschaut, ist kaum nachvollziehbar. Sicher mag nicht jeder bei wilden Gewaltausbrüchen handgreiflich einschreiten, man muß sich ja auch nicht unnötig in Gefahr begeben. Aber zumindest Hilfe zu rufen dürfte doch nicht zu viel erwartet sein. Wobei sich nach solchen Ereignissen in aller Regel nicht einmal Zeugen finden, die zur Verurteilung eines gewalttätigen Übeltäters beitragen könnten. 
Vielleicht ist das der Mühe einfach nicht wert.

Dann sollte man sich aber auch nicht beschweren, wenn man selbst Opfer ist und darf dann auch nicht auf Hilfe hoffen. 

Bezeichnen sich nicht fast alle Menschen selbst als "hilfsbereit"? Welche Art Hilfe ist damit gemeint? Nur bezahlte Hilfe? Hilfe, die nicht entlohnt wird, wird nicht geleistet, man ist ja schließlich nicht die Wohlfahrt. Sollen doch andere helfen, wozu sind die anderen denn schließlich da?
Allein: Es gibt keine anderen, wenn sich das jeder sagt.

Ich spende genug für die Hungernden in Afrika, da muß ich mich nicht auch noch um den Dreck vor meiner Haustür kümmern.
Warum eigentlich nicht?

Es wird geraten, sich bei Eingreifen etwa gegen einen Angreifer tunlichst mit anderen Zeugen zu solidarisieren und diese direkt anzusprechen. Anscheinend fühlen sie sich ansonsten nicht angesprochen. Das ist ausgesprochen unbefriedigend, ; es sieht doch jeder von selbst, wo Hilfe angesagt wäre. Courage, also Mut im zivilen Umfeld ist gefragt, die Mehrheit antwortet aber schlicht nicht.
Wobei: Wünscht sich nicht jeder, zumindest einmal im Leben ein Held zu sein?

Und sei es nur für einen Augenblick.

Und da bietet sich die Gelegenheit, ganz von selbst? Ohne, daß man viel dafür tun müßte, wird einem die Chance auf ein klein wenig Heldenhaftigkeit quasi auf dem Silbertablett serviert. Und was tut man? Statt das weiße Roß zu satteln und mit keckem Mit in die Schlacht zu ziehen, zieht man den Schwanz ein und schaut in die andere Richtung.
Was muß das Schicksal noch tun, um einem ein gutes Gefühl zu geben?

Dabei wäre es so wunderbar, jemanden aus einer Gefahr gerettet zu haben. Wie gut würde man sich dann fühlen.

Das Stichwort ist wohl: "Gerettet zu haben". Denn erst, wenn es vorbei ist, fühlt es sich gut an. Vorher riecht es nach Ärger, nach Gefahr, nach Anstrengung. Man könnte selbst verletzt werden, muß auf Polizei und Sanitäter warten, muß womöglich noch zu Gericht, als Zeuge. Nein, da ist Wegsehen durchaus bequemer.
Vielleicht hat man anschließend ein schlechtes Gewissen.

Wobei: Die anderen haben doch auch nicht geholfen. Sollen doch die ein schlechtes Gewissen haben. Alles nur Hasenfüße. Wenn ich könnte, wie ich wollte.
Du kannst, wenn du wolltest.

Aber du willst nicht, wie du könntest. 
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